Universität Potsdam entlastet Althusmann

Anfang September habe ich mir die Dokumentation angesehen, auf deren Grundlage die ZEIT den niedersächsischen Bildungsminister und Vorsitzenden der Kultusministerkonferenz, Bernd Althusmann, des Plagiats beschuldigt hat. Mein Urteil damals lautete: „Nicht schuldig“.

Die Dissertation von Althusmann (bzw. die untersuchte Stichprobe im Umfang von zwei Kapiteln) ließ zwar nur sehr begrenzte gedankliche Eigenleistungen erkennen und sie enthielt eine Vielzahl von Stellen, bei denen der Autor sich inhaltlich kaum von der zitierten Literatur löst. Aber, so schrieb ich damals,

die Dissertation ist eben eine Nacherzählung der Gedanken anderer, sie ist nicht, wie die von VroniPlag dokumentierten Dissertationen, eine Collage aus den Texten anderer. Das soll nicht heißen, dass Althusmann sich nicht stellenweise auch der Formulierungen anderer bedient hat — die ZEIT-Gutachter tragen eine Vielzahl solcher Übernahmen zusammen. Diese betreffen allerdings mehrheitlich die Übernahme sehr kurzer Formulierungen — Teilsätze, zum Teil sogar nur zwei aufeinanderfolgende Wörter. Diese Art der Übernahmen lässt sich aber kaum vermeiden, denn innerhalb eines eng umrissenen Fachgebietes gibt es nicht beliebig viele Arten, einen Sachverhalt zu versprachlichen.

Übernahmen, die länger als ein Teilsatz sind, finden sich in den von den ZEIT-Gutachtern untersuchten Kapiteln nur selten, und in allen Fällen ist die Quelle mit einem „vgl.“ (für „vergleiche“) angegeben: dies betrifft eine Handvoll Abbildungen in Listenform, und jeweils ein Dutzend Sätze bzw. Absätze. Auch diese Übernahmen sind natürlich nicht ohne weiteres zu entschuldigen, aber ihr geringer Umfang deutet darauf hin, dass hier ohne Täuschungsabsicht gehandelt wurde — es dürfte sich ausnahmsweise tatsächlich einmal um die berühmten „handwerkliche Fehler“ handeln, die die bisher enttarnten Plagiator/innen allzugern für sich in Anspruch nehmen wollten.

Heute hat die Universität Potsdam nun das Ergebnis ihrer eigenen internen Untersuchung bekanntgegeben. Auch sie spricht Althusmann von den Vorwürfen frei:

Die Kommission zur Untersuchung von Vorwürfen wissenschaftlichen Fehlverhaltens der Universität Potsdam hat das Verfahren wegen der Vorwürfe gegen Dr. Bernd Althusmann im Hinblick auf dessen Dissertation eingestellt. Die Arbeit weist eine Vielzahl formaler Mängel auf, die nicht der guten wissenschaftlichen Praxis entsprechen, doch sind diese Verstöße nicht ausreichend, um den Tatbestand wissenschaftlichen Fehlverhaltens zu erfüllen.

Die Universität Potsdam stellt klar, dass es sich dabei um „Mängel von erheblichem Gewicht“ handelt, dass diese aber kein „wissenschaftliches Fehlverhalten“ im Sinne der durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft vorgegebenen Regeln guter wissenschaftlicher Praxis darstellen und dass Althusmann vor allem keine bewusste „Täuschung über die tatsächliche Urheberschaft von in der Arbeit wiedergegebenen Werken“ begangen habe.

Die Universität kritisiert außerdem die Gutachter der Dissertation, die zur Vermeidung der Mängel „die Dissertation genauer prüfen und weitere Maßnahmen [hätten] ergreifen müssen, zumal diese Verstöße zumindest teilweise ohne weiteres erkennbar waren.“ Das sind ungewöhnlich klare Worte, die man in den bisher bekanntgewordenen Fällen häufig vermisst hat. Ich bin gespannt, ob die Gutachter hier noch Stellung nehmen werden.

Der Fall Althusmann ist wichtig, weil er zeigt, dass es bei der Aufdeckung von Plagiator/innen nicht wie beim Tontaubenschießen zugeht, sondern dass es möglich ist, eine Dissertation nach objektiven Kriterien zu überprüfen und zu belastbaren Aussagen darüber zu kommen, ob und in welchem Umfang Verstöße gegen die gute wissenschaftliche Praxis vorliegen und ob und in welchem Umfang jemand mit Täuschungsabsicht gehandelt hat. Dass die Untersuchungskommission der Universität Potsdam zu sehr ähnlichen Aussagen gekommen ist, wie ich in meinem Beitrag vom September, ist natürlich kein Beweis für eine absolute Objektivität, aber doch ein Beleg.

Ich möchte auch noch einmal darauf hinweisen, dass die Plagiatdokumentar/innen von VroniPlag den Fall Althusmann seinerzeit nur kurz intern geprüft und dann verworfen haben, weil sie ebenfalls sehr schnell zu der Auffassung gelangt sind, dass hier kein Plagiat in einem nennenswerten Umfang vorliegt. Das unterstreicht die Tatsache, dass sich sehr wohl Grenzen zwischen „handwerklichen Fehlern“ (wie bei Althusmann) und bewussten Täuschungsversuchen (wie bei Guttenberg, Koch-Mehrin, Chatzimarkakis und den anderen von VroniPlag überführten Betrüger/innen) ziehen lassen und dass nicht nur die Universitäten und die Wissenschafler/innen von DE PLAGIO in der Lage sind, diese Grenzen sehr gut zu erkennen, sondern dass die oft gescholtenen und angefeindeten VroniPlagger dass ebenfalls können.

Und die Uni Potsdam wird ja bald erneut Gelegenheit bekommen, ihre Urteilsfähigkeit unter Beweis zu stellen. Die Potsdamer Honorarprofessorin Margarita Mathiopoulos ist von VroniPlag des Plagiats überführt worden, ihr Fall befindet sich derzeit bei der Universität Bonn in der internen Prüfung. Da an Mathiopoulos’ Fehlverhalten nach dem Bericht von VroniPlag kein Zweifel mehr bestehen kann, bin ich ziemlich sicher, dass die Universität Bonn Mathiopoulos dieses Fehlverhalten auch bescheinigen wird. Dann wird auch die Universität Potsdam, wo Mathiopoulos im laufenden Semester irritierenderweise noch Seminare gibt, reagieren müssen.

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23 Kommentare on “Universität Potsdam entlastet Althusmann”

  1. Benno O. sagt:

    Zur Erinnerung, für die Aberkennung eines Doktortitels muss kein Vorsatz vorliegen. So argumentierten damals die Juristen der Universität Bayreuth im Falle zu Guttenberg. Erst auf Wunsch der Staatsanwaltschaft und auf Druck der Öffentlichkeit wurde Mitte Mai der Vorsatz bei zu Guttenberg dargestellt.

    Zweitens, ob VroniPlag den Fall übernimmt oder nicht – ist unerheblich. Im Falle Althusmann war der Umstand, dass die implizite Erwartungshaltung der Gutachter „jetzt kann VroniPlag übernehmen“ neben den anderen Gründen zur Ablehnung der Bearbeitung führte. Außerdem hatte und hat man ein akutes Ressourcenproblem.

    Drittens, es gibt einige Fälle, die nicht öffentlich dokumentiert sind und die zum Himmel stinken.
    Zum Beispiel wurde im Fall Wöller bis heute von keinem Gutachter oder Mitglied des Promotionsausschusses (sowohl im ersten als auch im zweiten Verfahren) die Benutzerakte Wöllers im Bundesarchiv in Koblenz eingesehen. Mit dieser Benutzerakte könnte sich Wöller exkulpieren und öffentlich dokumentieren, wie lange und intensiv er Akten (die Primärquellen) geprüft und selbst recherchiert hat. Die Gutachter und der Promotionsausschuss hätte Klarheit. Das lässt den Verdacht aufkommen, dass erneut nicht sorgfältig in der Angelegenheit Wöller untersucht wird. Seit Wochen wird das Ergebnis schon von den Dächern gepfiffen. Es wird bestimmt zeitnah im Schatten von Althusmann verkündet werden. Wahrscheinlich wird sein, dass dann der Modus sehr mangelhaft aber „kein Vorsatz“ als Verkündigung der Entscheidung angeführt wird.

    Fazit: Verdachtsfälle, die nicht öffentlich und eskalierend dokumentiert werden führen dazu, dass leichter zu Gunsten der „Schluderdoktoren“ (vgl. heute im Uni-Spiegel) entschieden wird. Das erstmals angeführte Argument „kein Vorsatz“ wird jetzt wohl zum Dauerbrenner. Aber wie kann über Vorsatz in einer nicht öffentlichen Verhandlung glaubhaft geurteilt werden?

    Deshalb die Forderung, dass auch die Gutachten über Mängel der Dissertationen veröffentlicht werden müssen und zwar vollständig. Dies gilt auch für die Überprüfungen der Kommissionen sofern diese einberufen werden.

    Es bleibt die traurige Erkenntnis, dass die historische Chance bei Plagiaten durchzugreifen durch einige Universitäten bewusst, leichtfertig und vorsätzlich verspielt wird.

    Es riecht wieder nach Muff!

  2. astefanowitsch sagt:

    Ich verstehe nicht, worauf sie hinauswollen. Althusmanns Arbeit ist inhaltlich schwach, und wurde seinerzeit auch nur mit „rite“ benotet, aber sie ist eben kein Plagiat. Der Mangel an Vorsatz ist hier nur ein Aspekt, der andere ist der, den ich in meinem ursprünglichen Beitrag ausführlich diskutiert habe: es gibt keine Übernahmen längerer Passagen. Es ist wichtig, bei Plagiaten hart durchzugreifen, aber es bringt niemanden weiter, beliebig durchzugreifen. Das Argument „Kein Vorsatz“ allein wird niemanden retten.

  3. Benno O. sagt:

    Das genau wollte ich herausarbeiten. „Kein Vorsatz“ ist die Verteidigungslinie von zu Guttenberg und ist nach meiner Lektüre der Kern der Begründung für die nicht erfolgte Entziehung bei Althusmann. Auf den Fall des Kultusministers haben zu wenige (ich schließe mich da mit ein) genau geschaut. Um es mal mit Michael Spreng zu sagen: Die wenigen Leute, die sich mit Plagiatssuche beschäftigen halten aktuell zu viele Bälle in der Luft. Die Liste der nicht oder nur teilweise bearbeiteten Fälle ist lang.

    Auch klar ist, dass die großen, klaren Fragmente bei Althusmann fehlen. Statt Patchwork ein kleinteiliges Puzzle. Aber vielleicht wird jemand in ein paar Jahren, wie den Fall Mathiopoulos, den Fall wieder aufnehmen.

  4. Dierk sagt:

    Nö, der Kern der Argumentation bei Althusmann ist, ‚da wurde nicht plagiiert‘. Die Intention des Autoren stand nicht weiter zur Debatte, weil es keine Tat gab.

    Der Kern der Argumentation Stefanowitschs wiederum lautet: ‚Objektiv untersuchen, unabhängig von Ideologie und Parteilichkeit.‘

  5. Michael sagt:

    Man muss bei der Jagd auf vermeintliche Plagiatoren schon genau unterscheiden: die Arbeit von Althusmann war eine schlechte Doktorarbeit mit großen handwerklichen Mängeln, die zu recht mit der schlechtmöglichsten Note bewertet wurde. Aber eben kein Plagiat in Guttenberg’schen Ausmaß. Differenzieren würde den Plagiatsjägern schon manchmal gut tun, so verdienstvoll ihre Aktivitäten auch sind.

  6. Erbloggtes sagt:

    @Benno O.: Auch nach meiner Lektüre lautet der Kern der Begründung im Fall Althusmann: Keine Täuschungsabsicht. Die Uni teilte sogar mit, Althusmann habe bei seiner Verteidigung selbst angeführt, dass er es einfach nicht besser wusste.

    Eine nachgewiesene Täuschungsabsicht (wie schwierig der Nachweis auch wäre, vielleicht nur durch Internet- und Telefonüberwachung zu führen) allein ist m.E. die hinreichende und die notwendige Bedingung für die nachträgliche Aberkennung des Doktorgrades. Ohne Jurist zu sein bin ich überzeugt, dass rechtlich in den allermeisten Fällen Qualitätsmängel in der Diss. nicht ausreichen, um nachträglich einen Dr.-Entzug zu begründen. Denn Qualitätsmängel (ohne Täuschungsabsicht) hätten die Gutachter feststellen müssen. Da sie es nicht getan haben, ist der Zug abgefahren.

    Daher handelt es sich um so ein Minenfeld, was sich bei den künftig abzuschließenden Fällen noch zeigen wird.

  7. Erbloggtes sagt:

    Übrigens: Auch Herr Stefanowitsch zitiert sich oben selbst in dem Sinne, dass die Täuschungsabsicht der entscheidende Punkt ist: „Auch diese Übernahmen sind natürlich nicht ohne weiteres zu entschuldigen, aber ihr geringer Umfang deutet darauf hin, dass hier ohne Täuschungsabsicht gehandelt wurde — es dürfte sich ausnahmsweise tatsächlich einmal um die berühmten „handwerkliche Fehler“ handeln“.

  8. Sven sagt:

    Er hat also gepatzt und nicht plagiiert. Aber ist das nicht sogar noch schlimmer, liebe Uni Potsdam? In meiner persönlichen Achtung jedenfalls steht der Verbrecher über dem Narren, denn er hat wenigstens ein Hirn.

    • Ilja sagt:

      Der Unterschied ist aber, dass hier die Uni Potsdam mitverantwortlich ist für die qualitative Beurteilung der Dissertation, und die Verantwortlichkeit deswegen nicht auf dem Autor abschieben kann.

  9. Plaqueiator sagt:

    Zum einen: „Keine Absicht“ ist nicht nur die Verteidigungslinie Guttenbergs, sondern auch Koch-Mehrins und Chatzimarkakis‘. Koch-Mehrin argumentiert damit, dass die „Fehler“ bereits den Gutachtern bekannt waren, Chatzimarkakis beruft sich auf seine Oxford-Zitiertechnik – unschuldig wie Althusmann auf die „vgl.“-Verwendung.

    Zum zweiten: Althusmann folgt inhaltlich 1:1 der Darstellung wenigstens einer seiner Quellen [Scholz 1988], wo er „im Prinzip 11 Kulturansätze inklusive meiner Beschreibungen übernommen“ hat, „- ohne dies kenntlich zu machen.“ (Prof. Dr. Christian Scholz, Uni SB).

    Diese sachlichen Übernahmen sind sehr klar erkennbar und werden dennoch nicht als Plagiat bewertet. Plagiate lediglich an der Wortnähe festzumachen statt am Wortgehalt und der inhaltlichen Aussage, ist der fatal falsche Weg. Ein Plagiat definiert sich nicht über den Grad der Paraphrase und sprachlichen Überarbeitung, sondern über die Übernahme von Inhalten.

    Tatsächlich ließe sich mit bösem Willen aus einer solch formalen, technischen, oberflächlichen Plagiatsdefinition eine Vorgehensweise für die Schnellbleiche kopierter Hochschulschriften destillieren. Guttenbergs Nachfolger werden es danken. Die Uni Potsdam hat sich und der Wissenschaft keinen guten Dienst erwiesen.

  10. astefanowitsch sagt:

    Ich habe mich bei meinem Urteil nicht vorrangig auf das Fehlen einer Täuschungsabsicht berufen, sondern auf die Kleinteiligkeit der übernommenen Passagen, die zu einem großen Teil nur aus Halbsätzen bestehen, in Kombination mit dem Fehlen einer Täuschungsabsicht. Dort, wo, wie bei Chatzimarkakis, Absatz- und Seitenweise fremde Texte übernommen werden, würde selbst das Fehlen einer Täuschungsabsicht nichts ändern.

    Auch bei Althusmann gibt es problematische Passagen, aber so gern ich persönlich bei Dissertationen eine Nulltoleranzpolitik sähe, so unrealistisch wäre das. Tatsächlich ist es so, dass die versehentliche Übernahme einer Passage eines anderen Autors aus Flüchtigkeit oder Vergesslichkeit passieren kann. Dürfte eigentlich nicht, ist aber so, und es hat m.E. wenig Sinn, so einen Fall dann mit einem systematischen, über viele Seiten fortgeführten Plagiat in Art von Guttenberg, Koch-Mehrin, Chatzimarkakis oder Pröfrock gleichzusetzen.

    Eine andere Frage ist, ob Althusmann angesichts der schwachen eigenen Gedankenleistung hätte bestehen dürfen. Vermutlich nicht, aber hier ist das Prinzip der Rechtssicherheit zu beachten. Einen Titel wegen nachträglich entdeckter Qualitätsmängel abzuerkennen ist durch manche Promotionsordnungen wohl zugelassen, scheint mir aber höchst problematisch.

  11. Plaqueiator sagt:

    Natürlich wäre ein einmaliger faux pas eine lässliche Sünde.

    Die Begründung der Kommission besagt allerdings, dass Althusmann mit seiner Zitiertechnik einem systematischen „Missverständnis“ unterlag. Entsprechend liegen zahlreiche Verstöße vor. Eine Vielzahl von Verstößen wiederum, der eine Systematik zugrunde liegt, impliziert entweder eine Absicht oder eine grobe Fahrlässigkeit. Nach den Empfehlungen der HRK umfasst ein wiss. Fehlverhalten neben der bewussten Tat auch die grobe Fahrlässigkeit.

    Das Argument der Kommission, Althusmann habe es nicht anders gewusst, rekurriert nur auf die fehlende Täuschungsabsicht. Es ist deshalb nicht nur schwach, sondern falsch. Althusmann hätte es besser wissen können, ja als Doktorand besser wissen müssen, wie man wissenschaftlich korrekt zitiert.

    Nach der Verlautbarung der Uni Potsdam wird das fehlende Kennzeichnung fremden Gedankenguts („Fehlen von Anführungszeichen“) zwar als Verstoß gegen die gute wiss. Praxis moniert, aber nicht als Fehlverhalten gewertet, weil ein Fehlen der Täuschungsabsicht nur unterstellt wird. Ist dies nicht die befürchtete Verharmlosung solcher Praktiken durch die Wissenschaft selber? Wird hier nicht ein künstlicher Gegensatz zwischen guter wiss. Praxis und wiss. Fehlverhalten aufgebaut? Wird hier nicht der Beliebigkeit Tür und Tor geöffnet?

    De facto enthält die Arbeit nun von der Kommission abgesegnete illegitim übernommene Inhalte anderer Autoren. Man will hier die möglichen Entwicklungen gar nicht weiter spinnen …

    Leider erfahren wir nichts über den Umfang und das detaillierte Ergebnis der Prüfung. Tatsächlich wäre die Veröffentlichung des Gutachtens wünschenswert, das zur Einstellung des Verfahrens geführt hat.

  12. Erbloggtes sagt:

    @astefanowitsch: Richtig: nachträgliche Dr.-Aberkennung dürfte äußerst schwierig sein ohne Feststellung einer Täuschungsabsicht.

    Ist es aber nicht so, dass aus der „Kleinteiligkeit der [wörtlich] übernommenen Passagen, die zu einem großen Teil nur aus Halbsätzen bestehen“, geschlussfolgert wird, dass wahrscheinlich keine Täuschungsabsicht bestanden habe?

    Aus meiner Sicht sind das nicht zwei unabhängige Feststellungen (kein großer Formulierungsklau UND keine Täuschungsabsicht), sondern ein Implikationsverhältnis (WENN kein großer Formulierungsklau, DANN keine Täuschungsabsicht). Daraus wird dann gefolgert: keine Aberkennung.

    Ich versuche das mit einem logischen Formulierungsvorschlag zu verdeutlichen (Definitionen: – = nicht; F = Formulierungsklau; T = Täuschungsabsicht; u = und; –> = wenn-dann-Implikation; A = Aberkennung des Dr.):

    (-F –> -T) –> -A

    Ihre Darstellung, Herr Stefanowitsch, wäre dann so zu formalisieren:

    (-F u -T) –> -A

    Empirisch lassen sich beide Formulierungen schwer unterscheiden. Der Prüfstein, welche gültig ist, wäre ein Fall, in dem zwar ein Formulierungsklau vorliegt, aber keine Täuschungsabsicht, was dann nicht zur Aberkennung des Titels führt [(F u -T) –> -A]. Das hätte Guttenberg zwar gerne, dazu müsste man ihm aber Unzurechnungsfähigkeit zusprechen. Da so ein Fall nicht sinnvoll denkbar ist, weise ich die UND-Formulierung ab und plädiere für die Implikation.

    Es gibt einen anderen Fall, in dem zwar kein Formulierungsklau vorliegt, aber eine Täuschungsabsicht, was trotzdem zur Aberkennung des Titels führt [(-F u T) –> A]. Dieser Fall läge beim Nachweis einer kompetenten Ghostwriterschaft vor. Durch Implikation lässt sich aber auch dieser Fall besser lösen.

    Ich bin nicht ganz sicher, ob die logische Formulierung in einem intuitionistischen Kalkül des natürlichen Schließens fehlerfrei ist. In jedem Fall scheint es aber so, dass aus Täuschungsabsicht immer die Aberkennung folgt (T –> A), aus fehlender Täuschungsabsicht immer die Nichtaberkennung (-T –> -A).

    @Plaqueiator: Das mit der groben Fahrlässigkeit müsste ich nochmal nachlesen. Den „künstliche[n] Gegensatz zwischen [Mangel an] guter wiss. Praxis und wiss. Fehlverhalten“ sehe ich aber auch in der Erklärung der Althusmann-Kommission, wie ich hier ausgeführt habe. Allerdings habe ich auch erwogen, ob bloß die Darstellung in den Medien (zusammen mit ungenauen Formulierungen) diesen falschen Gegensatz erzeugt.

  13. Plaqueiator sagt:

    Es muss in meinem vorigen Beitrag natürlich heißen: „Wird hier nicht ein künstlicher Gegensatz zwischen Verstößen gegen die gute wiss. Praxis und wiss. Fehlverhalten aufgebaut?“

    @Erbloggtes: ich beziehe mich auf die von Astefanowitsch verlinkte Verlautbarung der Kommission auf den Webseiten der Uni Potsdam.

  14. Erbloggtes sagt:

    @Plaqueiator: Oben verlinkt habe ich nur die „Medieninformation der Universität Potsdam
    Nr. 2011-246 vom 01.12.2011“ gefunden. Das ist eine (Werbe-)Darstellung der Pressesprecherin. Die Verlautbarung der Kommission ist dort im Anhang verlinkt: Zusammenfassung_Gutachten.doc Sie prüfte einen „objektiven Tatbestand“, den sie mit folgender Begründung leugnet: „Insbesondere sehen sich weder die Gutachter der Dissertation, noch weitere, teilweise fachfremde Personen durch die mit „Vgl.“-Verweisen gekennzeichneten, wörtlich übernommenen Satzfragmente über die tatsächliche Urheberschaft der wiedergegebenen wissenschaftlichen Ergebnisse getäuscht.“ („objektiv“ bedeutet also hier das Täuschungsgefühl mancher Personen)

    Darüber hinaus prüfte die Kommission auch einen „subjektiven Tatbestand“, was ich als Täuschungsabsicht (des Täuschers) interpretiere. Da kommt die Kommission zu dem Schluss, dass die „Gutgläubigkeit von Herrn Althusmann“ gegen seine Täuschungsabsicht spricht, auch im Sinne grober Fahrlässigkeit. Demnach war Althusmann wissenschaftlich so schlecht ausgebildet, dass es für ihn nur leicht fahrlässig war, „derartige Verstöße gegen gute wissenschaftliche Praxis“ zu begehen.

    Die Schuld bekommen im letzten Satz die Gutachter: „Die Gutachter haben die Arbeit nicht ausreichend auf Verstöße gegen gute wissenschaftliche Praxis überprüft.“ Stellt sich die Frage, ob man für die zumindest grobe Fahrlässigkeit feststellen kann.

  15. Erbloggtes sagt:

    Ich stimme natürlich zu: Es wäre sehr wünschenswert, wenn das Gutachten, das zur Einstellung des Verfahrens führte, veröffentlicht würde. Da müssten dann ja detaillierte Begründungen drin stehen, damit sich die Uni nicht öffentlich lächerlich macht.

  16. Plaqueiator sagt:

    @Erbloggtes: Herzlichen Dank für den Hinweis. Ich hatte das Dokument beim ersten Überfliegen für die identische Kopie der verlinkten Pressemitteilung gehalten, was nicht der Fall ist. In der Tat nimmt es die Universität in personam der Pressesprecherin wohl nicht genau mit Gänsefüßchen, denn wesentliche Abschnitte aus der Zusammenfassung des Gutachtens sind ohne Kennzeichnung und im Indikativ in die Pressemitteilung übernommen worden. Ärgerlich, aber na gut.

    Wie sie halte ich die Bindung des „objektiven“ Tatbestandes des Vorliegens einer nicht ausreichend gekennzeichneten Übernahme an ein subjektives Gefühl des Getäuscht-Werdens des Rezipienten für unzulässig. Oder sollte ich sagen windelweich…

    Man kann nicht zuerst schwere formale Mängel ausmachen, um sie im folgenden gleich wieder subjektiv weg zu erklären. Mindestens Prof. Scholz hat sich in der ungekennzeichneten Verwendung seiner 11 Kulturansätze nämlich durchaus getäuscht gesehen: „…wenngleich das geschickte Verstecken seiner ‚Quelle‘ in eine kleine Fußnote schon bemerkenswert ist.“ (http://orga.uni-sb.de/?p=983)

    Beim subjektiven Tatbestand, also der Absicht oder der groben Fahrlässigkeit, dem Doktoranden Naivität bis hin zur völligen Unbelecktheit zu unterstellen, ist nun seitens der Kommission entweder in einem kaum vertretbaren Maße gutgläubig oder von anderen Motiven geleitet.

    Die vorgebliche Naivität Althusmanns darf ihm selbst dann nicht als befreiender Umstand angerechnet werden, wenn alle Gutachter sämtliche Augen zugedrückt haben. Er selbst hat diese Dissertation eingereicht. Es war zuvörderst seine Pflicht, sich die gute wiss. Praxis anzueignen. Er muß dafür zuerst die Verantwortung tragen, dass er dies versäumt hat.

    Zu promovieren hat auch mit Verantwortung zu tun. Verantwortungslosigkeit ist ein gemeinsames Kennzeichen der Plagiatoren.

  17. astefanowitsch sagt:

    Ich muss zugeben, dass mir die Formulierung der Begründung in der Pressemeldung und in der Zusammenfassung des Berichts bei nochmaliger genauer Lektüre auch quer liegt. Man könnte die Aussagen so interpretieren, als setze die Anmaßung einer Autorschaft grundsätzlich eine Täuschungsabsicht voraus. Das ist natürlich falsch. Ich versuche deshalb derzeit, Einsicht in den vollen Bericht der Kommission zu bekommen, da ich ziemlich sicher bin, dass diese Aussage durch eine Verkürzung des eigentlichen Zusammenhangs entstanden ist. Ich werde darüber berichten.

    Erbloggtes, meine Argumentation war: 1.) Die geringe Anzahl tatsächlich relevanter Textübernahmen (also solcher von mehr als einem Halbsatz) deutet auf einen Mangel an Täuschungsabsicht hin (vor allem, das habe ich wohl noch nirgends geschrieben, da diese nie Gedanken von solcher Originalität beinhalten, dass sich die Anmaßung einer eigenen Autorschaft lohnen würde). 2.) Die Kleinteiligkeit anderer im ZEIT-Gutachten kritisierter Stellen zählt m.E. ohnehin nicht als Plagiat, da meist nur Formulierungen unterhalb der Satzebene übernommen werden, und sprachliche Kreativität nicht grenzenlos ist. Es gibt also 1) sehr wenige für einen Plagiatsvorwurf wirklich relevante Passagen, und wegen einem vermuteten Mangel an Täuschungsabsicht muss man 2.) den Vorwurf insgesamt im Zweifel eben ablehnen. D.h., wenn es mehr relevante Passagen gäbe, würde man eventuell auch die kleinteiligen Übernahmen anders bewerten.

    Am Schluss noch Mal der klare Hinweis, dass ich schon in meinem ersten Beitrag zu dem Thema klar Zweifel daran geäußert habe, ob die Dissertation überhaupt den inhaltlichen Qualitätskriterien genügt, eben weil sich Althusmann sehr wenig von den Gedanken anderer Autoren löst. Aber das entscheidet nun mal die Promotionskommission, und deren Urteil muss eine gewisse Endgültigkeit haben.

  18. Erbloggtes sagt:

    Danke für die Klarstellung! Da ist letztlich wenig gegen einzuwenden.

    Ich bin gespannt, ob der Bericht der Kommission nähere Aufschlüsse geben kann. In der Zusammenfassung lautet übrigens die Word-interne Autorangabe „hconrad“; zuletzt gespeichert wurde das Dokument demnach von „andpeter“.

  19. Plaqueiator sagt:

    @astefanowitsch: leider bleibt die Beurteilung der inhaltlichen Qualität einer Dissertation den Gutachtern vorbehalten.

    Ich pflichte Ihnen bei, dass der veröffentlichte Umfang der beanstandeten Stellen in der Dissertation recht gering war. Auf Vroniplag hat seinerzeit jedoch nicht die geringe Anzahl und die „Kleinteiligkeit“ der Stellen zur Abweisung der Bearbeitung geführt, sondern das Vorgehen der „Whistleblower“. Für Vroniplag-Mitarbeiter war die Vorsicht immer oberstes Prinzip. Die Verfasser des ZEIT-Gutachtens bestanden allerdings vorab auf einer Veröffentlichung in der ZEIT. Dies widersprach dem Vorsichtsgebot.

    Grundsätzlich wäre für Vroniplag damals mit der Anzahl der Stellen ein ausreichender Anfangsverdacht gegeben gewesen, um die Dissertation zu untersuchen. Für eine Veröffentlichung eines „Plagiatvorwurfs“ sahen wir aber die Grundlage nicht gegeben. Niemand war auf Vroniplag bereit, unter diesen Voraussetzungen nach der Veröffentlichung für die ZEIT die glühenden Kohlen aus dem Feuer zu holen.

    Die Verfasser des ZEIT-Gutachtens hatten offensichtlich fest mit einer Bearbeitung auf Vroniplag gerechnet, so dass davon ausgegangen werden kann, dass die Arbeit Althusmanns nicht vollständig untersucht wurde, denn die ZEIT-Gutachter haben ihrerseits m.W. nach der Veröffentlichung kein weiteres Material nachgelegt. In wie weit die Kommission der Uni Potsdam nun eine vollständige Untersuchung der Arbeit durchgeführt hat, wissen wir nicht, da das Gutachten nicht öffentlich zugänglich ist und in der veröffentlichten Gutachtenzusammenhang keine detaillierteren Angaben dazu gemacht wurden.

    Durch meine Beschäftigung mit Plagiaten habe ich gelernt, dass die Art und Weise, wie mit Quellen umgegangen wird, meist systematisch ist. Die öfter genannte Übernahme der angesprochenen Quelle Scholz z.B. ist derjenigen Guttenbergs ähnlich, bei der er Volkmann-Schluck übernahm. In der Gutachten-Zusammenfassung der Kommission wird ebenfalls eine Systematik angedeutet, der aber – skandalöserweise – die Generalabsolution erteilt wird.

    Über die Anzahl der tatsächlichen Plagiatsstellen können wir nur spekulieren. Allerdings deuten solche Indizien darauf hin, dass ingesamt wesentlich mehr zu beanstanden sein könnte als das, was die ZEIT-Gutachter eruiert haben, wenn die Arbeit tatsächlich vollständig im Stil Vroniplags betrachtet wird. Ich sehe das genauso wie Sie, dass die Bewertung „kleinteiliger“ Übernahmen durch die Quantität bestimmt ist und sich bei Vorliegen eines durchgehenden Musters durchaus von der „Schludrigkeit“ hin zum Plagiat verschieben könnte.

    Sollte es nur bei den bekannten beanstandeten Stellen bleiben, hielte ich die Entscheidung der Kommission für mit Bauchschmerzen vertretbar, denn dann könnte die Betrachtung des Verhältnisses der Eigenleistung zu den Übernahmen (die bei der Untersuchung der Uni Bonn im Fall Chatzimarkakis eine nicht unbedeutende Rolle gespielt hat!) zu Althusmanns Gunsten ausgelegt werden. Die Begründung in der Gutachtenzusammenfassung der Potsdamer Kommission halte ich weiterhin für ungeeignet.

  20. Erbloggtes sagt:

    Tja, im Vergleich zu Guttenberg ist Althusmann wirklich ein unschuldiger Waisenknabe: Guttenberg Reloaded: Plagiator bleibt Plagiator, GuttenPlag ermittelt wieder.

  21. […] zu bestimmen. Die Pressemitteilung der Universität zur Einstellung des Verfahrens,[10] die hier ausführlich diskutiert wurde, erweckte den Eindruck, dass deren Dekanin Theresa Wobbe zumindest […]


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