Warum es nicht still werden darf um Silvana Koch-Mehrin

Als Silvana Koch-Mehrin am Abend des 25. Juni 2011 ihren Rückzug aus dem Ausschuss für Industrie, Forschung und Energie bekannt gab (bzw. bekanntgeben ließ, dazu später mehr), bekam ich per Twitter und per E-Mail eine Reihe von Glückwünsche.  Grund dafür war eine gemeinsam mit anderen Wissenschaftsbloggern nur zwei Tage zuvor initiierte Petition, in der wir den Rücktritt Koch-Mehrins aus dem Komitee und aus dem Europäischen Parlament fordern und die bis zu diesem Zeitpunkt schon 7500 Mitzeichnungen hatte.

Diese Glückwünsche waren in zweifacher Hinsicht unangebracht. Erstens, weil ich nicht glaube, dass diese Petition Anteil an Koch-Mehrins Rückzug hatte. Die entscheidende Rolle dürfte eher die Tatsache gespielt haben, dass ihre eigenen Parteifreunde begannen, Abstand von ihr zu nehmen und dass eine solide Allianz aus allen großen deutschen Forschungsorganisationen früher am Tag eine Pressemeldung veröffentlicht hatte, in der dieser Rückzug gefordert wurde. Zweitens, und viel wichtiger, weil mit Koch-Mehrins Rückzug aus dem Forschungsausschuss das eigentliche Ziel der Petition noch gar nicht erreicht war – die Niederlegung ihres Mandats. Die Allianz der Forschungsorganisationen hat eine solche Niederlegung leider nicht gefordert, aber die Deutsche Forschungsgemeinschaft hatte in einer Pressemeldung einen Tag früher schon angemerkt, auch Koch-Mehrins „weitere Mitgliedschaft im Europäischen Parlament“ nach Aberkennung ihres Doktorgrades „nicht akzeptabel“ sei.

Der Rückzug aus dem Ausschuss ist aus meiner Sicht (das habe ich hier ausführlicher dargelegt) auch kein großer Erfolg, denn er ist nichts weiter, als ein Minimum an selbstverständlichem Verhalten. Dass eine überführte Plagiatorin keinesfalls in diesen Ausschuss gehört, darüber herrschte in der öffentlichen Diskussion eine uneingeschränkte Einigkeit über das gesamte politische Spektrum hinweg.

In einem hintersinnigen Kommentar in der FAZ vermutete Jürgen Kaube, dass es Koch-Mehrin genau diese Einigkeit in ihr Kalkül einbezogen hatte, als sie ihre Wahl in den Ausschuss bekannt gab. Er sieht in dieser Wahl einen Trick:

[M]an bewirbt sich sofort um etwas, von dem jeder Trottel sieht, dass man es nach dem Erwischtwerden keinesfalls mehr bekommen kann. Ganz klar, dass sich darüber und noch mehr über die nachfolgende Wahl zu einem solchen Vollmitglied alle aufregen werden: Wie kann sie nur? Gut absehbar, dass die Forschungsorganisationen ihre Presseabteilungen heißlaufen lassen … Daraufhin wartet man einen kurzen Moment ab, um die Spannung anwachsen zu lassen, wie kaltblütig man ist – und verzichtet auf das neue Amt. …  Preiswerter kommt man unter keinen Umständen zu dem Image, von öffentlichem Protest doch noch erreichbar zu sein. [Kaube/FAZ.net]

Das Amt, das Koch-Mehrin eigentlich schützen und behalten will – ihr Mandat im Europäischen Parlament –, interessiert dann niemanden mehr.

Ich weiß nicht, ob hinter Koch-Mehrins Verhalten tatsächlich soviel Planmäßigkeit stand, aber der Effekt ist genau der von Kaube beschriebene und es gibt zwei Gründe dafür, Koch-Mehrin mit dieser Finte nicht durchkommen zu lassen — einen allgemeinen und einen Koch-Mehrin-spezifischen.

Der allgemeine Grund ist, dass es sich eben nicht gehört, dass gewählte Volksvertreter/innen, die in einer laufenden Legislaturperiode eines schweren Fehlverhaltens überführt werden, sich brav entschuldigen und dann weitermachen. Niemand hindert sie bei der nächsten zur Wiederwahl anzutreten und herauszufinden, ob das Wahlvolk ihnen dieses Fehlverhalten verzeiht. Aber keinesfalls darf es Sitte werden, dass Volksvertreter sich einfach selbst verzeihen.

Der spezifische Grund ist, dass Koch-Mehrin sich ja gar nicht brav entschuldigt hat. Die einzige Äußerung, die sie seit Aberkennung ihres Doktorgrades überhaupt getätigt hat, stammt vom 18. Juni 2011, und in dieser Äußerung schiebt sie die Schuld an ihrem Plagiat auf die Universität Heidelberg und droht dieser mit rechtlichen Schritten. Den Rücktritt aus dem Forschungsausschuss hat sie dagegen gar nicht kommentiert, sondern nur (auf welchem Wege, ist mir nicht klar) durch einen Sprecher mitteilen lassen.

Auf ihrer Webseite wurde zwar die Wahl in den Ausschuss mitgeteilt, nicht aber der Rücktritt von dieser Wahl. Stattdessen ist die Mitteilung der Wahl einfach wieder verschwunden.

Das Plenum des Europäischen Parlaments hat Silvana Koch-Mehrin heute als  Vollmitglied in den Ausschuss für Industrie, Forschung und Energie entsandt.  Dort wird sie sich den Themen Digital Agenda, Informationstechnologie,  Telekommunikation und Internet widmen – wie bisher schon als stellvertretendes  Mitglied

Koch-Mehrins Webseite am 22. Juni 2011

Text zur Wahl in den Ausschuss ist gelöscht.

Koch-Mehrins Webseite am 27. Juni 2011

Seitdem herrscht Funkstille auf Koch-Mehrins Webseite und auch sonst hat sie sich nirgends zu dem Vorgang geäußert. Sie spekuliert offenbar auf öffentliches Vergessen. Mit ihrem Umgang mit der Affäre hat sie von Anfang an einen erschreckenden Mangel an Einsicht und Verantwortungsbewusstsein bewiesen. Sie hält es ganz offensichtlich nicht für nötig, sich in irgendeiner Form zu erklären. Belege für ihr Fehlverhalten werden entweder umgedeutet oder einfach entöffentlicht.

Sorgen wir deshalb dafür, dass sie jetzt ihr Mandat niederlegt und sich endlich eine Nachdenkpause gönnt. Nicht nur, weil es für sich genommen das richtige ist, sondern auch, weil es ist nur eine Frage der Zeit ist, bis sie sich i in den nächsten unangemessenen Ausschuss wählen lässt und sich dann z.B. mit Bildungspolitik oder Urheberrecht befasst. Und dann ist der Fall ein paar Monate alt und es wird schwer, wieder öffentlichen Druck aufzubauen.

Außerdem schicken wir mit der Petition nicht nur ein Signal an Koch-Mehrin, sondern auch an ihren Parlamentskollegen Chatzimarkakis, dessen Entitelung bereits beschlossene Sache ist und Mitte des Monats bekanntgegeben werden soll. In der Fernsehsendung „Anne Will“ hat er klargestellt, dass der Titelentzug für ihn kein Grund wäre, von seinem Amt zurückzutreten. Wenn unsere Petition dazu beitragen könnte, Koch-Mehrin zum Rücktritt zu bewegen, würde es für Chatzimarkakis schwer, diese Einstellung aufrecht zu erhalten.

Unterzeichnen Sie die PETITION bis zum 13. Juli 2011 hier.


12 Kommentare on “Warum es nicht still werden darf um Silvana Koch-Mehrin”

  1. Da krieg ich Plag sagt:

    They don’t give a sh**.

    Wer die Dreistigkeit hat, irgendwelche fiktiven Zitierstile zu erfinden, oder der Uni die Schuld dafür zu geben, dass man sie betrogen hat, den interessiert es doch einen feuchten Kehricht, wenn Wissenschaftler sich darüber aufregen, solange die breitere Öffentlichkeit den BS mit dem „Pranger“ und der „Hexenjagd“ schluckt.

    Das gesamte Verhalten von Koch-Mehrin und Guttenberg ist ein einziger großer Mittelfinger gegenüber jedem, der auch nur ein Minimum von wissenschaftlicher Arbeit versteht. Und wie viel Interesse in der Partei daran besteht, hier vielleicht mal ein deutliches Wort zu finden, sieht man ja wohl auch deutlich.

    Ich verstehe die Wut sehr gut, ich finde die Aktion auch richtig und wichtig. Aber ich glaube nicht mehr daran, dass Anstand noch irgendeine Rolle spielt.

  2. opalkatze sagt:

    Und ich glaube nicht daran, daß selbst Politiker auf die Dauer gänzlich ohne Anstand auskommen. Irgendwann ist das (zweierlei) Maß voll.

  3. Friedemann Weitz sagt:

    Die Uebeltaeter sind ganz offenkundig die boesen Jungs (Maedchen?) von WELT.online: Die schrei/ieben locker-flockig von „soll“, „offenbar“ und „aller Voraussicht nach“ – Ergebnis: jetzt kann jeder auf den in Gang gesetzten Zug aufspringen (‚Medienberichten zufolge‘), konkret – man lese und staune (mehr als ein wenig erschrocken: bei astefanowitsch!) -: Die Aberkennung des Doktortitels von (noch:) Dr. Chatzimarkakis sei „bereits beschlossene Sache“.
    Wenn ich recht informiert bin, will und wird die Universitaet Bonn am 13. Juli 2011 Stellung nehmen: Ist ‚unsereins‘ gut beraten, hier vorzugreifen? Mir will diese Ungeduld (wenngleich oder gerade weil es mir in Sachen ‚Chatzi‘ enorm in den Fingern juckt …) wenig hilfreich erscheinen: Geraet man hier nicht in die Naehe einer Verurteilung VOR dem Richterspruch? Gehoeren hier nicht (schlechte) Gepflogenheiten der Medienwelt angePRANGERt?
    So schwer es auch fallen mag: Erst einmal abwarten und in diesem ganz konkreten Punkt stille halten schiene mir das Gebot der Stunde resp. Fairness (in der Erwartung und Hoffnung auf eine moeglichst GERECHTE Beurteilung des Ganzen).

    • Geraet man hier nicht in die Naehe einer Verurteilung VOR dem Richterspruch? Gehoeren hier nicht (schlechte) Gepflogenheiten der Medienwelt angePRANGERt?
      So schwer es auch fallen mag: Erst einmal abwarten und in diesem ganz konkreten Punkt stille halten schiene mir das Gebot der Stunde resp. Fairness (in der Erwartung und Hoffnung auf eine moeglichst GERECHTE Beurteilung des Ganzen).

      Eine Vorverurteilung findet nicht statt. Bei VroniPlag wurden die Fakten aufgezeigt, hinter die auch eine Universität Bonn kaum zurückgehen kann.

      Interessant ist die Vor(wärts)verteidigung von Chatzimarkakis, zuletzt gestern bei Anne Will, die mit den Grundsätzen guter wissenschaftlicher Praxis nicht mehr vereinbar ist. Der MdEP hat wie zuvor versucht, sich in eine Opferrolle zu diskutieren. Genauso hat es auch Silvana Koch-Mehrin gehandhabt, die *ihre* Verantwortung für eine „collagierte“ Dissertation auf die Universität und ihren Doktorvater abdrücken wollte. Diese Praktiken der Exkulpierung sind im Prinzip schon ausreichender Anlass, an der Kompetenz dieser beiden PolitikerInnen Anstoss zu nehmen, das Wahlvolk zu vertreten. Welche Strategien werden sie ergreifen, wenn es um wirklich real-life betreffende Entscheidungen von ihnen geht? Ist dann das Wahlvolk primär haftbar, weil es souverän Vertreter per Vertrauensvorschuss entsandt hat, die zu ihren Fehlleistungen ex post nicht stehen wollen?

  4. Da krieg ich Plag sagt:

    Hier gibt es, wie ja gestern auch richtig von Frau Domscheit-Berg gesagt wurde, nichts vorzuverurteilen. Wir haben es hier mit eindeutigen Fakten zu tun, über die niemand mehr entscheiden muss.

    Herr Chatzimarkakis hat, das steht völlig außer Frage, in schwerwiegendem Maße (KTzG würde von „schwerstwiegendem, ich betone, schwerstwiegendem Maße“ sprechen) gegen wissenschaftliche Grundregeln verstoßen. Das kann jeder nachprüfen und das muss jeder einsehen, der diese Grundregeln kennt.

    Insofern hat die Universität Bonn, wenn ihr diese wissenschaftlichen Grundregeln irgendetwas bedeuten, gar keinen Entscheidungsspielraum. Im Umkehrschluss werden diese Grundregeln aber in dem extrem unwahrscheinlichen Fall nicht ungültig, dass die Universität Bonn den Doktorgrad doch nicht aberkennt.

    Wenn ein nachweislicher Dieb aufgrund eines Justizirrtums oder fragwürdiger Praktiken bei der Polizei straffrei davonkommt, macht das das Gesetz nicht hinfällig, das Diebstahl unter Strafe stellt. Und der Dieb bleibt ein Dieb, wenn auch kein verurteilter.

    Es geht im Fall Chatzimarkakis nur noch darum, ob die wissenschaftlich folgerichtigen, ja unvermeidbaren Konsequnzen aus vorliegenden Tatsachen gezogen werden, sprich ob er für das bestraft wird, was er getan hat. Die Tatsachen sind unveränderlich und eindeutig bereits vorhanden.

  5. Ich schließe mich „Da krieg ich Plag“ an. Es ist gut und schön, vor Vorverurteilungen zu warnen, aber hier ist der Fall klar. Ergänzen ließe sich noch, dass Chatzimarkakis widersprüchliche Dinge erzählt (Harvard-Standards vs. Oxford-Standards), aber offensichtlich nicht einmal weiß, was Harvard- oder Oxford-Zitierweisen eigentlich sind. Entweder ist das wirklich Unwissenheit (was für jemanden, der eine Doktorarbeit geschrieben haben will, ziemlich peinlich wäre) oder schlicht eine Lüge.

  6. Guttengate sagt:

    Auch guttengate.de ist dafür, dass Koch-Mehrin ihr Mandat sofort niederlegt.

    Wie „Da krieg ich Plag“ schon korrekt festgestellt hat, ändert die Verurteilung nichts am Sachverhalt – ein Dieb ist ein Dieb, egal ob verurteilt oder nicht. Trotzdem ist ein verurteilter Dieb sozusagen „abgestempelt“, d.h. er ist auch „offiziell“ ein Dieb und es dürfte ihm ungleich schwieriger fallen, das zu verheimlichen.

  7. […] von ihrem Abgeordnetenmandat im Europaparlament fordert. Der Initiator Anatol Stefanowitsch zieht hier eine sehr kritische Erfolgsbilanz der Petition. Erbloggtes kann das nur […]

  8. Joe Dramiga sagt:

    Im SPON 6.7.2011 heißt es zu den Plagiatsvorwürfen gegen Niedersachsens Kultusminister Bernd Althusmann: „Die KMK, der Althusmann vorsitzt, hat unter anderem die Aufgabe, „Qualitätsstandards in Schule und Hochschule“ zu sichern, wie es auf der Internetseite heißt. „

  9. BenZol sagt:

    Ich sag nur: Postdemokratie.

  10. worlov sagt:

    Still wird um sie sowieso nicht, denn die Frau Koch-Mehrin lässt dies selbst nicht zu 😉

    „Sie hat gegen die Entscheidung des Promotionsausschusses der Universität Heidelberg Widerspruch eingelegt… Die Hochschule beschäftigt sich nun ein weiteres Mal mit den Plagiatsvorwürfen und entscheidet dann erneut über den Entzug des Doktortitels. Sollte es dabei bleiben, kann Koch-Mehrin vor dem Verwaltungsgericht klagen.“
    http://www.focus.de/politik/deutschland/wissenschaft-koch-mehrin-will-doktortitel-zurueck_aid_646726.html

  11. Joe Dramiga sagt:

    Koch-Mehrin will Doktortitel zurück

    http://www.spiegel.de/unispiegel/studium/0,1518,774884,00.html

    Was soll man dazu noch sagen?


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